Freiheit und Abhängigkeit
Die metaphysische Unterscheidung zwischen Willens- und Handlungsfreiheit ist nicht wirklich plausibel, wenn man die Fähigkeit zum Handeln definiert als die Fähigkeit, absichtsvoll Wahlentscheidungen zu treffen. Handeln und Wollen gehören sowohl logisch-semantisch als auch psychologisch zusammen. Was sollte der Wille - sofern er überhaupt einen Bezug zum eigenen Handeln hat - auch anderes sein als die Absicht zum Handeln oder Nicht-Handeln? Nennen wir dies das Kernkonzept des Willens und unterscheiden es von anderen sprachlichen Formen der Willensäußerung, die eher den Bereichen des Wünschens oder Imaginierens ("Ich will reich, gesund, glücklich und schön sein!") und Fremdbestimmens ("Ich will aber, dass du das für mich machst!") zuzuordnen sind. Diese nennen wir die Randkonzepte des Willens. In einer eher trivialen Hinsicht mag die Unterscheidung sinnvoll sein. Man unterscheidet auch zunächst zwischen Wollen und Handeln. Eine Absicht ist nicht zugleich ja schon die Ausführung einer Handlung. Doch auch wenn es sinnvoll ist, nach der Handlungsfreiheit zu fragen, ist es nicht im gleichen Maße zweckmäßig, nach der Freiheit des Wollens zu fragen. Denn dann läuft man Gefahr, das Wollen als eine Art Handeln aufzufassen. Lässt sich die Frage nach der Handlungsfreiheit noch relativ leicht beantworten - ein Mensch ist in seinem Handeln frei, wenn er das tun kann, was er will -, so stößt man bei der Suche nach der Willensfreiheit schnell an eine logische Barriere: Ist ein Mensch dann in seinem Wollen frei, wenn er wollen kann, was er will? Das Handeln wird durch den Willen erklärt, wodurch erklärt man aber das Wollen? Man sieht auf einen Blick, dass hier - beim Wollen des Wollens - ein logischer Zirkel vorliegt, der auch durch begriffliche Tricks - beispielsweise die Einführung eines gestuften Willens - nicht wirklich behoben werden kann. Ich glaube, dass die zeitgenössische Diskussion der Willensfreiheit daran krankt, dass der Wille als autonomer bzw. heteronomer Agent betrachtet wird, der im Falle der Freiheit als irrationaler Despot, im Fall der Unfreiheit als Marionette und Sklave biochemischer Prozesse erscheint. Dabei scheint es unausweichlich, den Willen - ebenso wie das Handeln - als bedingt (Bieri) zu betrachten. Während man aber in den Bedingungen von Handlungen nicht automatisch Argumente gegen die Handlungsfreiheit sieht, ist das bei der Willensfreiheit anders: hier gelten Bedingungen zwangsläufig als Einschränkungen der Freiheit. Wenn ich einerseits genau dann frei darin bin, Auto zu fahren, wenn ich sowohl über eine Fahrerlaubnis als auch über ein Auto verfüge und andere rechtliche bzw. materielle Bedingungen erfüllt sind, dann gelten andererseits für die Willensfreiheit materielle Bedingungen - wie beispielsweise biochemische und neurologische Prozesse - nicht als Ermöglichungsbedingungen, sondern als Determinanten und Restrinktionen des Willens. Dabei scheint es doch nahe liegend, auch für den Willen die gleichen Ermöglichungsbedingungen gelten zu lassen wie für das Handeln. Bin ich nicht frei darin, Auto fahren zu wollen, wenn alle Bedingungen für die Ausführung der Handlung erfüllt sind? Und gerät mein Wille zum Autofahren nicht aus dem Kernkonzept des Wollens in das Randkonzept des Wunsches oder der Imagination, wenn die Handlungsbedingungen gar nicht erfüllt sind, ich gar nicht Auto fahren kann (im subjektiven oder objektiven Sinn)? Es besteht eine merkwürdige Asymmetrie in der Beschreibung beider Phänomene: Handlungsfreiheit wird als Freiheit von Zwang definiert, also wesentlich negativ konzeptualisiert. Der positive Aspekt wird durch die Opportunitäten, die sachlichen Gegebenheiten abgedeckt. So gilt jemand als frei, wenn er (1) die subjektiven Dispositionen hat, eine Handlung auszuführen (z.B. Absichten und Fähigkeiten), (2) davon nicht durch Zwang abgehalten wird, wenn (3) eine Opportunität zum Handeln besteht. Wer durch Zwang nicht zu einem Handeln gezwungen ist oder von einem Handeln abgehalten wird, das er will, der gilt als frei. Im Fall der Willensfreiheit scheint aber viel mehr verlangt zu werden: nicht nur, wer nicht gezwungen wird, etwas Bestimmtes zu wollen oder nicht zu wollen, sondern nur der, der über sein Wollen selbst bestimmen darf, der gilt als frei. Aber was heißt das, über sein Wollen selbst zu bestimmen? Doch nur, dass niemand anderes mein Wollen bestimmt, dass ich keinen fremden Willen habe, sondern eben meinen. Es heißt nicht, dass mein Wille frei von (z.B.) neuronalen Bedingungen sein muss, um mein Wille sein zu können. Hinter der Idee, dass nur ein selbstbestimmter Wille frei sei, steckt möglicherweise eine richtige Beobachtung, die aber nicht angemessen verstanden wird. Die Beobachtung nämlich, dass an der Willensbildung externe und interne Einflußgrößen beteiligt sind. Wenn an der Bildung meines Willens eher externe Effektoren beteiligt sind, dann gilt mein Wille als fremdbestimmt, also unfrei. Und umgekehrt. Durch die Neurobiologie nun kommt erschwerend hinzu, dass nach diesem Verständnis die Willensbildung immer externen Effektoren unterliegt, da kein Mensch seine neurobiologischen Prozesse, die einen bewussten Willensentschluss initiieren, frei wählen kann. Die Frage ist, ob man das Problem lösen kann, indem der Begriff des Selbstes als einer psychsomatischen Einheit an die Stelle des bewussten Ich als Träger des Willens gesetzt wird (Roth). Man integriert auf diese Weise die externen, physischen Effektoren in das Gesamtkonzept der wollenden und handelnden Person. Dennoch fehlt in der Konsequenz die Schlussfolgerung, dass wer als Person in seinem Handeln frei ist, dies auch in seinem Wollen ist. Vorausgesetzt, die obigen drei Bedingungen sind erfüllt. Warum wird an der Unfreiheit des Willens festgehalten? Im Hintergrund dieser Diskussion steht das alte metaphysische Probleme des Anfangs, der Arché. Wendet man sich in der Handlungstheorie der Frage zu, was primär ist - die Handlung oder die Absicht -, dann liegt es auf der Hand, der Absicht den Vorrang zu geben. Wenn man weiter fragt, in welcher Weise Absichten frei wählbar sind, kommt man schnell zum Zirkelproblem (oder infiniten Regress, je nach dem, wie man das Problem betrachtet). Löst man das Problem, indem man den Willen als grundsätzlich unfrei, weil nicht wählbar, betrachtet, dann handelt man sich für die Handlungstheorie ein weiteres Problem ein. Wenn der Wille unfrei ist, wie können dann Handlungen - die Exekutive gewissermaßen - frei sein. Der Schluss muss lauten: Ein unfreier Wille kann keine freien Handlungen verursachen.
Richtig ist natürlich: Logisch-semantisch betrachtet kann eine Absicht vorliegen, aber keine reale Wahlmöglichkeit; oder es kann die Handlungsmöglichkeit bestehen, ohne dass eine geeignete Motivation vorliegt. Denn natürlich macht es einen Unterschied, ob man einerseits davon abgehalten wird, das zu tun, was man will oder andererseits frei ist, auf eine bestimmte Weise zu handeln, ohne den entsprechenden Willen zu haben (auch wenn man die Wahl dieser Handlung vernünftig oder aus anderen Gründen attraktiv fände). In diesem Sinn kann man zwischen objektiver und subjektiver Freiheit unterscheiden, genau wie man zwischen zwei Arten des Könnens unterscheiden kann. Dabei umfasst objektive Freiheit alle externen Bedingungen, denen jede Handlung unterliegt. Ich bin beispielsweise nicht frei, Auto zu fahren, wenn ich kein Auto (zum Fahren) habe. Wer in seinen Handlungen nicht frei ist, wer also einer Einschränkung seiner Willkür unterliegt, dessen Wille ist natürlich auch nicht frei. Das Gegenteil von Willensfreiheit ist nicht der neurobiologische Determinismus. Es ist vermutlich, wie Peter Bieri meint, der Zwang, ob nun physisch oder psychisch. Von Aristoteles bis Peter Bieri wird Freiheit als Freiheit von Zwang beschrieben, der einem Menschen keine Wahl lässt, selbstständig – sua sponte – zu entscheiden und zu handeln. Heikel wird es aber, wenn der Handelnde und Wollende keinerlei Zwang erlebt oder erkennt - sondern glaubt und fühlt, ganz und gar frei zu sein. Und doch bemerkt ein jeder, dass mit diesem Glücklichen etwas nicht stimmt. Das Problem ist also: Wie um alles in der Welt finden wir heraus, ob jemand - einschließlich unserer selbst - unter Zwang will und handelt oder eben frei darin ist?
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